Allgemeine Hintergründe zum Genuss 

„Beim Menschen entstehen gute Gefühle auf zweierlei Wegen: Wenn er etwas will – oder wenn er etwas bekommen hat, was ihm behagt. Beide Regungen, Wollen und Mögen, Vorfreude und Genuss, erzeugt das Gehirn auf unterschiedliche Weise“.1)

Vorfreude wird vom „Lustmolekül“ Dopamin gesteuert und wenn wir genießen, dann wirken körpereigene Substanzen, die dem Opium ähneln und deshalb Opioide genannt werden. Das sind große, komplexe Neuropeptide (insgesamt gibt es drei verschiedene Hauptgruppen) die als „Opioide“ zusammengefasst werden; sie sind nichts anderes, als körpereigene Drogen. Da der Körper diese Stoffe selbst (endogen) erzeugt, nennt man sie auch Endorphine (aus: endo = innen und Morphin). Diese Stoffe können im Körper an unzähligen „Empfängerstellen“ (Rezeptoren) andocken (Darminnenwand, Nervenbahnen und im Gehirn). Sie wirken vor allem: schmerzstillend, stimmungsaufhellend und heben das Lebensgefühl.

Appetit auf etwas Essbares zu haben, ist – biologisch betrachtet – die Vorfreude auf die zu erwartenden opioiden Anteile, die unseren momentanen (Mangel-)Zustand „verbessern“.

Alle biologischen Phänomene haben eine genetische Basis, d.h. einen langen (erprobten) evolutionsbiologischen Vorlauf und sind aus biologischer Sicht „gewollt“. Offenbar hat es sich als Überlebensvorteil erwiesen, wenn Lebewesen fähig waren / sind, auf Nahrungsinhaltsstoffe mit „Gefühlen“ zu reagieren. Vorteilhafte Nahrung paart sich stets mit „guten“ Empfindungen. Diese Gefühle sind eine „Empfehlung“ des Körpers, sich dieses „gute Essen“ zu merken. Ohne gefühlten „Nachhall“ hätten wir bei der Nahrungsauswahl keine Orientierung, müssten ständig neu ausprobieren, was uns ernährt, bekommt oder schadet. Für den schlechten Geschmack gilt das gleiche.

Es ist also danach zu fragen, wie und auf welche Weise positive Gefühle während und nach dem Essen entstehen? Jeder Biss und jede Bewegung der Zunge lösen ein ganzes Feuerwerk von elektrischen Signalen aus, die im Gehirn verarbeitet werden und zu entsprechenden Hormonausschüttungen führen.2)

Wohlgeschmack  – was ist das?

Zunächst ist Wohlgeschmack ein sinnlich erfahrbares Ereignis, das sich während des Essens immer dann einstellt, wenn dieses entsprechend wirksame Anteile enthält. Dieses „Zungenerlebnis“ ist variabel und umso intensiver, je höher der Anteil opioider Komponenten in der Nahrung ist. Daher zielt jede Kochkunst zu allererst auf die Anreicherung opioid wirksamer Anteile, was eine Erhöhung des Genusswertes bedeutet. Die Nährstoffgehalte – mit Ausnahme von Fett und (niedermolekularen) Zuckerstoffen – sind für den Effekt des Wohlgeschmacks nachrangig.  Wie sonst lassen sich die meist zeitaufwändigen Zubereitungstechniken erklären, die in keinem Verhältnis zum Zugewinn an Nährstoffen stehen!?

Wir haben oben von endogenen Stoffen gesprochen, die unsere Stimmung, unsere Gefühle beeinflussen. Schauen wir jetzt auf die exogenen „Wirkfaktoren“, die wir in unserer Nahrung finden oder die wir durch Zubereitungstechniken erzeugen. Ihre opioiden Anteile wirken wie Drogen, führen aber nicht zu Abhängigkeiten (wie es bei den bekannten Rauschdrogen: Opium, Morphin, Kokain, Heroin etc. der Fall ist), da sie nicht in Reinform, sondern „verdünnt“ mit anderen Molekülen aufgenommen werden. Dass diese Nahrungsbestandteile überhaupt auf unsere Sinne wirken, liegt daran, dass ihr Molekülaufbau mit dem der Endorphinen idenisch ist oder sie deren Strukturen enthalten. So ausgestattet können sie mühelos an die Opiatrezeptoren des Körpers andocken (selbst wenn sie z.T. geringe Abweichungen haben) und ihre Wirkung entfalten.

Auswahl exogener Stoffe, die unser Lebensgefühl beeinflussen

Exorphine

Sie gleichen strukturell körpereigenen Botenstoffen (den Endorphinen). Sie kommen in unserer Nahrung „versteckt“ vor [vor allem in Getreide (Weizenkleber), Milch und Fleisch]. Versteckt deshalb, weil sie erst bei der Verdauung im Darm durch enzymatische Zerlegung der Großmoleküle „freigelegt“ werden. Im Gegensatz zu den anderen Eiweißabbauprodukten bleiben Exorphine im Verdauungstrakt erhalten und heften sich an die Opiatrezeptoren, da sie strukturell dem Morphin (Hauptbestandteil des Rohopiums) gleichen. In ihrer Wirkung unterscheiden sie sich nicht von Morphium.

In Molke sind keine (kaum) Exorphine, sodass sich dieses Produkt schlecht vermarkten lässt.

Kurzversion:

Kurze Eiweißverbindungen (Opiatpeptide); werden erst nach der Verdauung freigesetzt und docken an Opiatrezeptoren des Darms, den Nervenbahnen und des Gehirns. Wir unterscheiden:

β-Casomorphine

 In Milch (und deren Veredelungsprodukte:

 Käse, Quark etc.)

Haemorphine

 In Fleisch u. Blut

Gliadorphine

In Getreideeiweiß (besonders in Weizen)

Psychotrope Stoffe

Überwiegend Abwehrstoffe der Pflanzen, die sich auf unsere Nervenbahnen und Reizverarbeitung im Gehirn auswirken; es sind vor allem Alkaloide. Sie wirken dann psychotrop, wenn in ihnen eine Neurotransmitterstruktur erhalten bleibt und nicht von Verdauungsenzymen zerlegt worden ist.

Man kennt gegenwärtig etwa 12 000 verschiedene Alkaloide. Die bekanntesten sind: Morphin, Strychnin, Solanin, Capsaicin, Piperin, Coffein, Nikotin, Theobromin, Ergotamin. Sie führen (je nach Konzentration) zu Halluzinationen oder rauschartige Zuständen. Piperin und Capsaicin aktivieren den Trigeminus (Schmerzreiz)

Beispiele:

Muskatnuss – ihre psychotrope Wirkung entsteht vorwiegend durch die Umwandlung von Myristicin in der Leber zu Amphetaminen und erinnert an die Eigenschaften von Meskalin.

Zimt und Nelke: Inhaltsstoffe werden in der Leber zu Amphetaminen verstoffwechselt (wie bei Muskatnuss), sind alkohollöslich. Deshalb ist der Glühwein so begehrt. Wein liefert verschiedene biogene Amine, die durch die Wärme in Lösung gehen und dann rasch mit den ätherischen Ölen  Verbindungen mit halluzinogenen Effekten eingehen

 

 

Wirken sich auf unsere Nervenbahnen und Reizverarbeitung im Gehirn aus; 

– wirken euphorisierend,                                stimmungshebend

– können rauschartige Zustände           bewirken

– Anteile aus Pfeffer, Paprika  und Chileschoten aktivieren den Trigeminusnerv (Hitzerezeptor) und bewirken die Ausschüttung von schmerzlindernden Botenstoffen (Endorphinen); nach dem Genuss scharfer Speisen stellt sich ein „wohliges“ Gefühl ein

 

 

Kochprodukte mit opioider Wirkung

β-Carboline:  entstehen beim Rösten, also während der Maillardreaktion. Röststoffe kommen nicht nur in der Bratensoße, sondern in unzähligen Backerzeugnissen vor, die eine Bräunung an ihrer Oberfläche aufweisen.

Hohe Gehalte an β-Carbolinen finden sich in Gebratenem und Gegrilltem. Spitzenreiter sind Grillhähnchen.

Die Ausbeute erhöht sich in Gegenwart von Marinaden deutlich (Salatbeilage!!), da in leicht saurem Milieu günstigere Reaktions-bedingungen (vor allem die Bildung von Indolalkaloiden – wozu die β-Carboline gehören) vorherrschen. Deshalb löschen wir braune Ansätze oft mit Weiß- oder Rotwein ab.

Bei der Zubereitung einer Tomatensoße entstehen aus  verschiedenen Aminosäuren, etherischen Ölen, Zuckern und Neurotransmitter ähnlichen Bestandteilen erst durch stundenlanges Simmern die gewünschten Aromen und psychoaktiven Substanzen

z.B. Röststoffe; genauer: die Beta-Carboline

– Lassen sich in Gegenwart von Alkohol leichter resorbieren (das Glas Wein zum Essen macht also gleich mehrfach Sinn!)

Sie docken an die Opiatrezeptoren des Körpers (allerdings nicht an die Darm-rezeptoren!) und lösen so das   „Programm“ für Wohlempfinden aus

– Sie verhindern, dass andere Endorphine, die bei der Nahrungsaufnahme ausgeschüttet werden (z.B. Serotonin – Halbwertzeit etwa 5 Minuten) durch Monoamino-Oxidasen (MAO) rasch wieder abgebaut werden. Sie werden daher auch als MAO-Hemmer bezeichnet.

(MAO-Hemmer werden auch von Ärzten als Mittel gegen Depressionen verschrieben)

 

Alkohol

Beim Abbau von Ethanol (dem „Trinkalkohol“) in der Leber entsteht Acetaldehyd (gesprochen: Acet-aldehyd – ein Aldehyd des Ethanols).  Es reagiert schnell mit körpereigenen biogenen Aminen, wie z.B. mit dem „Glückshormon“ Serotonin. Dabei entstehen opiatwirksame Alkaloide.

Acetaldehyd bremst die Aktivität von Enzymen, den Monoamino-Oxidasen (MAO), damit in unserem Körper biogene Amine, wie z.B. Serotonin, nicht so rasch wieder abgebaut werden.

Acetaldehydund Amine reagieren spontan zu β-Carbolinalkaloiden (Reaktion mit Tryptamin). Auch sie bremsen die Aktivität der MAO.

 

 

1. In der Leber wird Alkohol zu Acetaldehyd verstoffwechselt; dieses Molekül reagiert mit körpereigenen Stoffen (sog. biogenen Aminen) und hat dann eine Wirkung wie eine „harte“ Droge

2. Acetaldehyd-Verbindungen bremsen die Aktivität spezieller Enzyme, die unsere „Glückshormone“ rasch abbauen (die oben bereits erwähnten MAO).

 

 

 

Zucker

(Schokolade, etc.)

Führt zur Ausschüttung von Serotonin (ein körpereigener Neurotransmitter), das oftmals auch als „Glückshormon“ bezeichnet wird

Sojasoße, Tomatenmark

Enthalten hohe Anteile an Glutamat (appetitsteigernd)

Betrachtet man die verschiedenen Nahrungsquellen, so stellt man fest, dass genau jene Rohstoffe weltweit angebaut und gegessen werden, die einen hohen Exorphingehalt aufweisen. Das Exorphin des Weizenklebers ist etwa zehnmal so wirksam wie das Morphin aus dem Schlafmohn. Vermutlich liegt hierin der Grund für den weltweiten Siegeszug des Weizenanbaus begründet, der bei vielen Völkern den Hirsebrei durch Weizenbrot abgelöst hat.

Nicht nur Fleisch, Milch und Getreide enthalten opioide Inhaltstoffe. Auch Chicoree, Radicchio (beides gärtnerische Sonderformen der Zichorie), Endivien und Kopfsalat enthalten etwas „Salatopium“, das an der leicht bitteren Note zu erkennen ist. Die dafür verantwortlichen Stoffe gehören zu den (unaussprechlichen) Sesquiterpene. Besonders für die „Frischkost-Anhänger“ dürfte interessant sein, dass UV-Licht das „Salatopium“ zerstört. Ein guter Grund, Salat dunkel zu lagern und möglichst „knackfrisch“ zu verzehren.

 

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1) Stefan Klein; 2009, Die Glücksformel; S.123

2) S. Klein; ebenda, S.112

 18.02.2010, 20:00 von Günther Henzel | 22918 Aufrufe

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