Obwohl die so beliebten Gummibärchen optisch eher an embryonale Strukturen von Bären erinnern und ihnen die molekulare biologische Organisation, wie sie in Früchten vorkommen, fehlt, „schmecken” sie wie Früchte – allerdings mit rohstofffremden Kauwiderstand. Wie ist das zu erklären?
Unsere Sinne „arbeiten” immer dann, wenn sie erregt werden. Ihre Leistungen sind spezifisch, also nicht beliebig (aber variant). Der Sinnesreiz selbst, der z.B. von Geruchs- oder Geschmacksereignissen ausgelöst wird, ist „dumm”. Er besteht „nur“ aus Strom (genauer: aus Aktionspotentialen). Erst das Gehirn bewertet den ankommenden elektrischen Impuls und gewichtet ihn, verleiht ihm eine Bedeutung. Das kann das Gehirn deshalb, weil in ihm im Laufe der Evolution molekulare Erkennungsmuster entstanden sind. Gibt es für einen „einlaufenden“ Reiz eine „passgenaue“ Andockstelle, dann werden alle mit diesem erregten Molekül in Verbindung stehenden Gehirnareale „aktiviert“. Gäbe es die betreffende Andockstelle nicht, bliebe das Gehirn unbeteiligt.
Die Möglichkeit, Sinnesleistungen in Bezug auf Lebensmittel zu täuschen, ihren Erregungsmustern vom Gehirn einen Wert zuordnen zu lassen, den die Lebensmittel in Wahrheit nicht haben, beruht auf eine simple Ausnutzung der notwendigen „Selektionsökonomie” des Gehirns in der Reizverarbeitung. Denn das Gehirn muss sich aus der Flut der ankommenden Signale auf das Wesentliche beschränken (allein das Aroma von Röstkaffee enthält weit über 1OO Komponenten, wovon keines – isoliert – als ein Aromabestandteil von Kaffee erkannt werden könnte).
Die Vielzahl gleichzeitig wirkender Reize (Farbe, Form, Oberfläche, Duft, Geschmack, Textur, Temperatur, Intensität), die von den Lebensmitteln ausgehen, werden vom Gehirn nach „Wichtigkeit” sortiert (verstärkt oder gebremst) und simultan verarbeitet. Durch diesen Simultanakt wird der Rohstoff identifiziert und in seiner Relevanz (gut oder schlecht etc.) „erkannt”.
Sind in einem synthetischen (artifiziellen) Lebensmittel – wozu unser Gummibär zweifelsfrei gehört – jene Anteile nur selektiv eingebracht, die in einem natürlichen Rohstoff als signifikante (= Zeichen-tragende) Merkmale vorkommen (Farben, Säuren, Süße etc.), so können sie bei ihrem Verzehr vergleichbare physiologische Effekte auslösen, wie sie sonst nur bei dem „echten” Rohstoff vorkommen.
Das Gehirn „sucht” für den Summeneindruck (hier) aus Gelatine, Farben, Säuren und Süßstoff ein „vertrautes” Muster und wird bei „Obst” fündig: „Es schmeckt wie „Kirsche“ oder nach „Zitrone“. Dass eine Anzahl wichtiger fruchteigener Systemstoffe fehlen oder dass das ganze „Frucht-System” talmihaften Charakter trägt und nicht das liefert, was es sensorisch “verspricht”, kann der Organismus erst nach Wochen feststellen (durch einen metabolischen „Nachhall“ – eine Art “Gedächtnis” des Stoffwechsels). Die Leber “erkennt” die Ernährungsmängel des Kunstproduktes und bewirkt ein unterbewusst gesteuertes Meidungsverhalten. Wir mögen dieses Zeug „auf einmal“(!) nicht mehr.
Warum sollte auch Misstrauen bei einer gut kaubaren Substanz aufkommen, wenn die Farben und der Aromaeindruck „vertraut” wirken? Bei grüner oder schwarzer Schlagsahne wird sich Misstrauen automatisch einstellen. Die Milch ist nun einmal weiß und das nicht erst seit gestern! Die Sinne sind in Millionen von Jahren auf einen in „ihrem” Lebensraum zu erwarteten Nahrungsvorrat angepasst, so dass nur wenige dominante Eindrücke ausreichen, um die entscheidenden Informationen über das Nahrungsobjekt zu erhalten. Das Gehirn konstruiert die „fehlenden“ Komponenten, die zum vollständigen Muster einer vertrauten Nahrung gehören, dazu. Sind diese als ungefährlich bekannt, kann der ganze Nahrungshappen ungehindert passieren.
Nicht der Aufbau, die innere Ordnung der Nahrung (Zellwandeigenschaften etc.), sondern die in ihr eingelagerten nahrungsrelevanten (niedermolekularen) Inhaltsstoffe werden sensorisch vorrangig erfasst. Deshalb lässt sich jede kaubare Substanz (und sei sie noch so wertlos – siehe Kaugummi) mit gewünschten Eigenschaften befrachten. Entscheidend dabei ist, was wir beim Kauen aus ihr „herausholen”. Da es in der Natur keine “willkürlichen” Stoffgemische gab / gibt, sondern nur biologisch organisierte Systeme, gibt es kein (Erkennungs-)Schema für Nahrungsimitate. Ein fruchtbares Betätigungsfeld für Bauchbetrüger alle Art!
Guten Appetit!
Aufrufe im Koechenetz
5,253 total views, 2 views today
Ganz sicher ist ein Apfel die bessere Alternative. Allerdings: In der Schale eines Apfels (Cuticula) sind Wachse, die nicht jeder verträgt, und manche Äpfel enthalten Aminosäuren, die ebenfalls gesundheitlich negative Folgen haben können. Auch vertragen einige Menschen keine Fructose (Fructosemalabsorption). Deshalb: Nicht essen, was als gesund ausgelobt wird, sondern das, was einem schmeckt und auch bekommt.
Mit freundlichen Grüßen Günther Henzel
Da ist mir der Apfel doch die bessere Alternative.