Zum Begriff

Das Wort Soße leitet sich ursprünglich vom Altfranzösischen “salse” (lateinisch: salsa) ab und bezeichnete einegesalzene Brühe (“dünnes Essen”), die beim Kochen von Fleisch und Gemüse entsteht (griechisch:Osmasom). Diese Flüssigkeit wurde zu festen “nicht auflösbaren Nahrungsmitteln” gegeben (beigegossen), also zu Fleisch, Gemüse- und Getreidespeisen.

 Das mhd. Wort “Tunke” (von tunken = hineintauchen) bezeichnete das Gleiche, nämlich eine schmackhafte, würzige, in der Regel etwas angedickte Flüssigkeit, in die man während des Essens feste Bestandteileeintunkte – oftmals nur Brot (tunken und stibben sind sinnverwandt;  siehe hierzu: Stibbabend: “ sämtliche hausbewohner sitzen…um das herdfeuer, jeder einen teller mit fettbrühe, fleisch, speck und mettwurst auf dem schosze, tunken (stibben) brot in die brühe“.1)

Das deutsche Wort Tunke hat sich jedoch nicht gehalten und durchgesetzt, sodass heute das Wort Soße (oder Sauce – beide Schreibweisen sind gültig) gebräuchlich ist.

 Die Beziehung von Soße und  Speise

Ob eine Soße zur Gruppe der (flüssigen) Speisen zu zählen ist, hängt in erster Linie von der Definition des Begriffs Speise ab. Der Koch versteht darunter einen  zubereiteten Rohstoff.

Die Paarung “Rohstoff und Zubereitung“ lässt zunächst an einen festen Rohstoff denken, aus dem man etwas Essbares machen kann; etwas, das sättigt und in das man hineinbeißen kann. Ein solches Produkt steht auf der Speisenkarte, hat einen rohstoffabhängigen Namen (der oft durch eine Garniturbezeichnung ergänzt ist) und kann vom Gast auch als Menügang bestellt werden, wie z.B.  Hühnerkraftbrühe, Grießflammeri oderChampagnersorbet. Und schließlich weiß jeder gastronomisch gebildete Fachmann, dass Speisen die dominanten Bestandteile unserer Ernährung sind, die wir täglich in Form von variationsreichen Gerichten (eine Kombination aus vier (!) Speisen) verzehren.

Betrachtet man die knappe, griffige Definition genauer, so fällt auf, dass ein Rohstoff erst durch dieZubereitung (!) zur Speise wird. Zubereitung ist das Schlüsselwort, die Voraussetzung für die Metamorphose eines Rohstoffs, das “Werden“ zur Speise! Ohne sie bleiben Rohstoffe wie sie sind!

 Zur Zubereitung gehören drei sich wechselseitig beeinflussende Verfahrensschritte: 

SCHRITT   I     alle technisch-mechanischen Veränderungen (Vorarbeiten)

SCHRITT  II     alle Formen aromatischer und texturwirksamer sowie

                          stimmungshebender (opioider) Anreicherungen /  Ergänzungen

                          (Zutaten = Rohstoffe aller Art)

SCHRITT III     Garen(entfällt bei Rohkost) und Fertigstellung (wie Schritt II)

Erst wenn ein Rohstoff (der Primärstoff) diese Schrittfolge vollständig durchlaufen hat, ist aus ihm eine Speise geworden. Fehlt einer der definierten Schritte, so ist das Produkt im strengen Sinne (noch) keine (echte) Speise (z.B. Folienkartoffel, gekochter Reis, geschälter, in Spalten geschnittener Apfel u.a.m. – weil hier noch die “Ergänzungen” fehlen).

Während das Garen den Rohstoff  u.a. erst verdaubar macht, bereichern Schritt II (und auch III) den zu garenden Rohstoff durch die Ergänzung mit weiteren Rohstoffen in vielfältiger Weise.     

Deshalb sind Speisen grundsätzlich Rohstoffkombinationen!

 Je aufwändiger die Herstellung ist, je mehr Rohstoffe verwendet werden, desto komplexer ist die Speise. Daher unterscheidet man zwischen einfachen (z.B. Bratkartoffeln, Butterreis, Pfeffersteak etc.) und komplexen(= aufwändigen) Speisen (die Mehrzahl der Suppen, Essenzen und Süßspeisen; ebenso umhüllte, gefüllte Speisen; Schaustücke u.a.m.).

 Widersprüchliches in der Zuordnung

Der wesentliche Unterschied zwischen flüssigen und festen Speisen liegt in der “Trennung“ von Rohstoffkörper(n) und seinen/ihren lösbaren Inhaltsstoffen. Bei einer Suppe werden nicht die Rohstoffe, aus denen sie hergestellt worden ist, serviert, sondern die aus ihnen gewonnenen, in die Garflüssigkeit übergetretenen wasser- und fettlöslichen Inhaltsstoffe (sowie andere lösliche Anteile). Eine Suppe ist letztendlich nichts anderes als eine aromatisierte Garflüssigkeit  – genau das ist eine Soße auch!

Da viele Suppen und Soßen aus fachlicher (handwerklicher / verfahrenstechnischer) Sicht (nahezu) identisch hergestellt werden, sie sich im Procedere des Werdens nicht unterscheiden und das Produkt jeweils eine aromatisierte Garflüssigkeit ist,  muss man Fragen, weshalb Soßen trotzdem nicht zur Kategorie (komplexer)  flüssiger Speisen gehören (sollen)?  Komplex deshalb, weil zu ihrer Herstellung viele verschiedene Rohstoffe benötigt werden, die alle Arbeitsschritte (I – III) durchlaufen und das sogar mit erheblichem Aufwand.

 Die “Kunst“ der Wasseraromatisierung

Insbesondere die Herstellung flüssiger Speisen erfordern vom Koch die Fähigkeit, verschiedene Geruchs- und Geschmackskomponenten in eine anfänglich neutrale Flüssigkeit dosiert anzureichern, ohne dass das aromaleitende Profil des Hauptrohstoffs (des Primärstoffs) überlagert wird oder dadurch verloren geht. Am Ende steht eine Aromakreation, die der Koch der Natur nicht  abschauen oder nachbilden konnte. Er hat sie “erschaffen”. Seine Sinne haben ihn dabei “geleitet”.

 Das, was wir als Suppe oder Soße verzehren, ist das Ergebnis einer komplexen sinnlichen Koordinationsleistung, die die sensorischen Synergieeffekte verschiedener Aromaträger unter Einsatz und Ausnutzung heißer, flüssiger Garmedien zu wohlschmeckender, anregender Nahrung hat werden lassen.  Insofern sind Suppen und Soßen tatsächlich Kunstwerke, Kreationen der Kochkunst. Das hohe Ansehen, dass ein Saucier in der gastronomischen Küche hat(te), ist in dem hier beschriebenen Sachverhalt begründet.

 Der Unterschied zwischen Soße und Suppe

Wenn es zwischen der Herstellung von (vielen) Suppen und Soßen keinen nennenswerten Unterschied gibt, so muss die Abgrenzung der Soße zur Speise (wozu – wie wir nun wissen – jede Suppe gehört) auf einer anderen Ebene liegen, also anders begründet sein. Eine Soße wird nicht, wie eine Suppe, als alleiniger Menügang bestellt. Auch ist sie nicht dominanter Teil eines Gerichtes, sondern nur ergänzender Bestandteil einer Speise (z.B. Rahmchampignons) oder wird à part zum Gericht gereicht. Damit kommt der Soße der Rang eines “Erfüllungsgehilfen“ mit vielfältigen Aufgaben zu.

 Während sich ihre strukturverwandte „Schwester“, die Suppe, als eigenständiger Menügang im Laufe der Kulturgeschichte des Essens etablieren konnte und ihren Ursprung, den Eintopf,  höchstens noch ahnen lässt, verharrte die Soße zunächst in ihrer ursprünglichen Funktion als stippbarer, salzig-fettiger Beiguss(s.o.).  Die Entdeckung, dass damit entscheidende appetitfördernde, stimmungshebende und wertvolle Ernährungseffekte, besonders beim Verzehr trockener, aromaarmer Speisen (z.B. Kartoffeln, Reis) zu erreichen waren, ließ nicht lange auf sich warten.

 Die sensorischen Vorzüge, die eine wohlschmeckende Soße einem Essen verleiht, waren so gravierend, dass man dazu überging, auch zu jenen Speisen Soßen “zu erfinden“, wenn bei ihrer Herstellung keine oder zu wenig “stippfähige“ Extraktivstoffe anfielen.2)  Kurzerhand wurden andere Rohstoffe so bearbeitet, dass sie am Ende eine fluide und aromatische Eigenschaft hatten, die alle erwünschten “Soßeneffekte“ erfüllten.

 Die heutige Vielfalt warmer, kalter und eigenständiger Soßenarten, die ihrerseits noch nach Techniken ihrer Herstellung differenziert werden,  ist in unzähligen Büchern dokumentiert.

 Der Faktor „Konzentration“

Wie und wodurch wird aus einer aromatisierten Garflüssigkeit eine Soße (und keine Suppe)?

Antwort: Durch die gezielte Erhöhung der Konzentration von Riech- und Schmeckstoffen!

 Eine Soße ist im Vergleich zu einer Suppe deutlich gehaltvoller. Ihre aromagebenden Anteile sind konzentrierter, höher dosiert. Würde man eine Soße “löffelweise“ und in gleicher Menge wie eine Suppe verzehren, so bekäme man großen Durst.  Die hohe Anzahl (vor allem niedermolekularer) biologisch hochwirksamer Inhaltsstoffe müssten “verdünnt“ werden, da sie sofort ins Blut gehen und  hier negative physiologische Effekte (z.B.: Störung des Elekrolythaushaltes) hervorrufen könnten (um das zu verhindern, schützt sich der Organismus bekanntlich durch sein Durstempfinden).

 Aufgaben und Funktionen von Soßen

Der “Überfluss“ an Riech- und Schmeckstoffen ist also das entscheidende Kriterium für die Zu- und Einordnung in die Fachsystematik der flüssigen Kochprodukte. Soßen sollen etwas bei einer anderen Speise bewirken, etwas an sie abgeben. Diese besondere Funktion beschränkt sich aber nicht nur auf würzende Effekte. Die Vielzahl ihrer Inhaltsstoffe wirken auf alle zentralen Bereiche der Verdauung und des Stoffwechsels! Zu den wesentlichen Aufgaben / Funktionen der Soßen gehören:

 Aromatisierung / Aromaergänzungbesonders bei ausdrucksarmen Speisen (Stärketräger); so nehmen z.B. die aromablassen Kartoffeln Bratengeschmack an; Gemüse, Fleisch etc. wirken “saftiger“, gehaltvoller

  • Verbesserung der Gleitfähigkeit trockene Speisen „rutschen“ schlechter als befeuchtete
  • Variation von Speisenje nach Soßenart werden Speisen z.B. mit Senf, Champignons, Sahne, Kräuteretc., die sonst stets gleich wären (gekocht o. gebraten), in ihrem Charakter verändert
  • Nährwertergänzung Soßen enthalten eine Vielzahl an Nährstoffen (oftmals sind die Fettanteile deutlicherhöht, die dann zu entsprechend fettarmen Speisen – z.B. Gemüse, Rohkost gereicht werden)
  • Verbesserung der Bioverfügbarkeit bestimmte Inhaltsstoffe lassen sich erst in Gegenwart von Fett resorbieren (z.B.: Karotin, fettlösliche Vitamine); besonders Salatsoßen erfüllen diese Funktion
  • Optimierung der Verdauung / Bekömmlichkeitso unterstützen z.B.: Kümmel, Beifuß, Rosmarin u.a.m. Emulsionsvorgänge im Darm und unterdrücken u.a. die Bildung von Darmgasen
  • Aktivierung des Immunsystemsaufgrund ihres hohen Anteils an bioaktiven Substanzen werden Gene in den Darmzellen angeschaltet, die die Immunabwehr aktivieren
  • Bindung krebsbildender Kochprodukte und Verhinderung von anormalem Zellwachstum(Tumorbildung) besonders Knoblauch, Meerrettich, Senf, viele Kräuter, aber auch Bestandteile ausTomaten  (Lykopin) und Rotwein (Polyphenole) oder Röstprodukte aus Möhren (Beta-Ionon) u.a.m. blockieren malignes Zellwachstum
  • Wirken bakterizid und fungizid Scharfstoffe aller Art (z.B.: aus Pfeffer, Chili, Meerrettich, Brunnenkresse u.a.m.)  stabilisieren / unterstützen die natürliche Darmflora
  • Hebung der Stimmung und des Wohlbefindens durch opioid wirkende Anteile (z.B. Muskat, Nelke, Zimt, Alkohol etc.) sowie Bildung von Enzymblockern (Beta-Carboline – entstehen beim Rösten), die unsere “Glückshormone” abbauen

 Weshalb “rundet“ eine Soße ab?

In vielen Rezepturen findet man die Empfehlung, mit bestimmten Zutaten (etwas Sahne, einen Schuss Cherry oder Portwein, Kräuter, Salz, einen Spritzer Zitronensaft etc.) eine Speise abzurunden. Was soll das eigentlich heißen – abrunden? Was soll “rund“ werden? Gibt es “Ecken und Kanten“, die das Optimum der Speise behindern und folglich durch die Rohstoffergänzung beseitigt werden (können)?

 Natürlich ist hier Abrunden allegorisch gemeint, das an die “perfekte“, nicht weiter verbesserbare Geometrie einer Kugel denken lässt. Nur insoweit hat die eigenschafts-formende Aufforderung einen Sinn. Denn  Abrunden findet an der Oberfläche statt, nicht im Inneren, wohinein sich aber die Ergänzungen verteilen! Niemand käme auf die Idee, bei der Orchestrierung eines Musikstückes die Einfügung eines weiteren Instrumentes als “Abrundung“ des Hörerlebnisses zu kennzeichnen. Bei diesem Beispiel spricht man von  Erweiterung oder Klangergänzung.

 Der Koch versteht unter Abrunden das Eintragen von Riech- und Schmeckstoffen in einen (hier: fluiden) Körper, um den Gesamteindruck  voller zu machen, ihn sensorisch “zu heben“.  Entscheidend für den Gesamteindruck auf der Zunge ist nicht nur die Konzentration niedermolekularer Inhaltstoffe (denn nur solche schmecken wir besonders heraus), sondern vor allem ihre gegenseitige Verträglichkeit. Sie müssen miteinander harmonieren, sich nicht gegenseitig Konkurrenz machen oder gar verdrängen. Die Sinneseindrücke wohlschmeckendkräftigbedeuten für den Organismus, dass die Speise reich an Inhaltstoffen ist und dass ihre Zusammensetzung (Nährstoffdichte) problemlos verstoffwechselt werden kann.3)

 Da es weltweit keinen Rohstoff gibt, der den Nährstoffbedarf des Menschen vollständig abdeckt, ist dieser stets auf der Suche nach Vielfalt und Ergänzung.  So gesehen ist das Anreichern von Speisen gleichsam die kultivierte Form eines evolutionären Prinzips der Nährstoffsicherung. Ist dieses “Auffüllen“ besonders gut gelungen, dann ist die Nahrung physiologisch; wir erleben diese Stoffbalance als Wohlgeschmack. Die Sinne belohnen auf diese Weise unsere Nahrungswahl (= Zubereitungstechnik!). Abrunden bedeutet daher für den Koch, eine Speise bis an die Grenze ihrer aromaoptimierenden Aufnahmefähigkeit anzufüllen, den Schlussstein im Gewölbe der Aromakreation zu setzen.

 In jeder  “natürlichen“ Soße, also jenen, die bei einem feuchten Verfahren entstehen, sind die aromaleitenden Riech- und Schmeckstoffe des Primärstoffs durch Garvorgänge in die Flüssigkeit übergetreten und werden ihm nun mit der Soße in konzentrierter, angereicherter Form (mit div. Gewürzkomponenten, Alkoholika, Fett- u. Farbstoffen,  Mineralien, Säuren u.a.m.) zurückgegeben. Insbesondere die Fett- und Alkoholanteile wirken als Lösungsmittel organischer Verbindungen der Kräuter und Gewürze. Gleichzeitig wirken Fettanteile als Bewahrer flüchtiger Inhaltstoffe, indem sich Letztere an Fettmoleküle binden oder ihre Verdunstung durch einen Fettfilm gebremst wird.

 Flüssigkeiten haben, aufgrund ihrer molekularen Struktur, starke Anhaftungseigen-schaften (Adhäsionseffekt). Oberflächenaspekte und Kapillareffekte führen dazu, dass Speisen von der Soße nicht nur oberflächlich benetzt, sondern geradezu von ihr durchdrungen werden. Wenn auf diese Weise eine Kartoffel nach Röststoffen, Kräutern, Rotwein, Zwiebeln, Knoblauch etc. schmeckt, dann ist der vormals fade Ausdruck der Stärkeknolle auf eine Aromaebene gehoben, die nicht weiter abgerundet werden kann – genauso wenig, wie die Oberfläche einer Kugel!

 Aus diesem Grunde sind Soßen perfekte “Vollender“ von Speisen.

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1) Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, 1941, Bd.: 18, S. 3175

  2) Die wenigen Tropfsäfte, die ein am Spieß gebratenes Spanferkel oder ein Ochsenbraten liefern, reichen nicht, um allen am Essen Beteiligten mit ausreichend Soße zu versorgen. Damit diese geringen Mengen nicht gänzlich verloren gehen, legt man beispielsweise in England den Yorkshire Pudding (eine Art großer Pfannkuchen) in den Tropffänger und serviert die so getränkten Teigstücke (Rautenform) mit zur Bratenplatte.

3) Siehe hierzu: “Vom Rohstoff zur Speise”

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