Werden Rohstoffe zu Speisen verarbeitet, so fällt auf, dass die sog. „Zutaten“ (die Sekundärstoffe) eine aromatische “Nähe” zu dem Rohstoff haben, der Gegenstand der Zubereitung ist (dem Primärstoff)1). Des Weiteren Nährstoffkomponenten, die dem Primärstoff fehlen.
Zum Beispiel ist Rotkohl ein robustes, nahezu fettloses, aber mit Eiweißanteilen, Vitaminen, Mineralstoffen und vor allem Ballaststoffen reich ausgestattetes Kohlgemüse. Betrachtet man die traditionell verwendeten Sekundärstoffe, so fällt auf, dass sie u.a. jenen Inhaltsstoff enthalten, der im Rotkohl am geringsten vorkommt: den Nährstoff Fett (Schmalz). Alle weiteren Zutaten verbessern die Bekömmlichkeit und heben den Genusswert.2)

Die Wahl der Ergänzungen sind zwar regional unterschiedlich, stehen aber mit den “Merkmalen” des Primärstoffs (seinen Aromaeigenschaften, der Farbe, Textur u.a.) in direktem Zusammenhang. Wie Vorteilhaft das Zusammengehen von Primärstoff, Verfahren und Sekundäranteilen allein nur auf die sensorische Qualität ist, kann man am Beispiel der Rotkohlspeise erkennen:

                             Genusseigenschaften der Rotkohlspeise: 

Aus dem einfachen derb-robusten Kohlgemüse ist eine aromatisch-würzige, leicht pikante, kraftvolle Speise mit weichen, gabelfähigen Kohlstreifen geworden, deren aromatischer Gesamteindruck an das attraktive Profil von Früchten heranreicht. Die Rotkohlspeise hat, wie vollreifes Obst, eine erkennbare harmonische Süße und Säure. Das Duftbukett aus Nelke und Zimt ist „blütenartig“ und hat somit auch olfaktorisch eine Nähe zum Obst. Bereichert wird die herb-fruchtige Note durch die Verwendung von Äpfeln, Fliederbeersaft und Rotwein. Die im Hintergrund präsente, aber nur dezent wirkende Schärfe des Pfeffers, verleiht dieser „faserartigen Frucht“ einen obstfremden Akzent, der als pikant-aromatische „Erweiterung“ erlebt wird.

Durch ein ausbalanciertes Zusammenfügen unterschiedlichster Rohstoffe vermag der Koch das gegebene natürliche Nahrungsspektrum aromatisch nahezu unbegrenzt zu erweitern. Mit jeder neuen Kombination entstehen Wechselwirkungen zwischen den einzelnen synergistisch wirkenden Reaktanden: Primärstoffeigenschaften, Verfahrenswirkungen, Ergänzungen und führen zu unterschiedlichen stimmungsaufhellenden Effekten sowie vielen erwünschten Ernährungsvorteilen. 
Die Tatsache, dass es weltweit Zubereitungsvarianzen und -präferenzen (für die gleichen Primärstoffe) gibt, geht vermutlich u.a. auf zwei wesentliche Tatsachen zurück:


Erstens: Die Verdauungssysteme der Menschen arbeiten in den Mikroprozessen unterschiedlich effektiv (Enzymausstattungen / Entgiftungssysteme sind verschieden).
Zweitens: Bei “gleichen” Rohstoffen müssen regional begründete molekulare Unterschiede vorliegen (z.B. haben die Zwiebel oder Möhre aus Dänemark eine andere Qualität als jene aus Griechenland). Sonst hätten sich im Laufe der Jahrtausende für die jeweiligen Zubereitungen identische und messgenaue „Mischungsverhältnisse“ durchgesetzt, die als Maß einer optimalen Ernährung für alle Menschen Gültigkeit hätten.
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1) Siehe hierzu den ausführlichen Artikel: Vom Rohstoff zur Speise

2) So nehmen die Zutaten nicht nur Einfluss auf den Nährwert, das Mundgefühl, die Farbe etc., sondern haben vielfältige physiologische (und pharmakologische) Auswirkungen auf Darm, Speichelfluss, Gallensaftsekretion, Herz- und Kreislauf sowie hirnchemisch wirksame (opioide) Effekte.

03.08.2009, 16:28 von Günther Henzel | 22008 Aufrufe

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