Wer käme eigentlich »spontan« auf die Idee, große, farbige, dünne Blätter vor dem Verzehr mit einer Fett– und Säurekomponente zu ergänzen? Überhaupt: Was haben Säuren und Milchfett oder Öl mit Salatblät-tern zu tun? Dass diese Fett-Säure-Anteile tatsächlich zum Standard gehören, kann mann anhand verschie-dener Salatrezepturen schnell überprüfen. Spätestens jetzt erkennt man, dass hinter der standardisierten Verwendung ein Ernährungszweck stehen muss. 

Für Fette bzw. Öle kämen Sahne,Oliven, Nuss-, Raps-, Kürbiskernöl u.a.m. infrage, und als Säurekom-ponente: Weinessig, Zitronensaft, Joghurt oder saure Sahne u.a.m. Der ernährungsphysiologische Hinter-grund ist stets der gleiche: Öle ergänzen u.a. den Nährstoff Fett (Salate sind fettarm) und tragen zum Sät-tigungsempfinden bei (Salate und Gemüsezubereitungen ohne Fettanteile haben keine anhaltende Sätti-gung);2 auch begünstigen sie die Resorption fettlösliche Vitamine.3 Weiterhin haben Fettbestandteile (Oleuropein – eine Art phenolischer Bitterstoff – und Fettsäuren) zusätzliche Effekte u.a. auf die Ge-schmacksrezeptoren4 und die Darmbiota. 

Nur, wer ist auf die Idee gekommen, Milchfett/Öl und Säure an Salatblättern zu tun? Zu der Zeit, als Menschen Ölbäume angepflanzt haben, gab es noch keine Blattsalate.5 Schnitt-, Kopf-, Eisbergsalat sind erst ab dem 16. Jahrhundert bekannt und der Anbau von Blatt- und Fruchtgemüse war aufwändig (erfor-derte starke Bewässerung und Unkrautbeseitigung) und gehörte sicher nicht zur den bevorzugten Kultur-pflanzen.Wann und warum diese Rohstoffkombinationen eingeführt wurden, lässt sich nicht mehr zurück-verfolgen. Wir kennen inzwischen aber deren o.g. sensorischen und metabolischen VorteileDa jede Sa-latzubereitung auch pharmakologisch wirksamen Substanzen enthält (Kräuter und Gewürze), ergäbe der Fettanteil einen weiteren Sinnätherische Öle lösen sich erst in Gegenwart von Fett und verdunsten dann wenigerSo gesehen wären nicht die Salatblätter, sondern die Fett- und Kräuteranteile die es-sentiellen Komponenten dieser kalten Speise. Bliebe noch der Säureanteil ungeklärt – denn auf ein Butterbrot träufeln wir ja auch keinen Zitronensaft oder Essig (s. Hintergrundinformationen).

 Hintergrundinformationen: Sicher haben unsere Vorfahren nach der Kultivierung von Olivenbäumen (seit dem 4. Jahrtausend v. Chr.) gerne ihr Brot in Olivenöl getaucht, um damit das Öl aufzunehmen oder um den »trockenen« Brotfladen gleitfähiger zu machen – eine der wohl ältesten überlieferten Fett-Stärke-Kombinationen der menschlichen Ernährung, die an unsere But-terstulle denken lässt. Hinter der attraktiven Kombination von Fett und Kohlenhydraten steht ein metabolischer Zusammen-hang der Energiegewinnung: »Fette verbrennen im Feuer der Kohlenhydrate« – im hochkomplexen biochemischen Prozess desso genannten CitratzyklusDas heißt, erst in Gegenwart von Kohlenhydraten (deren Metabolit Pyruvat) verlaufen diese Zellvorgänge optimal.6 Auch die traditionelle Brot-Schmalz-Salz-Kombination ist metabolisch begründet, da Glukose  nur mit einen Carrier (Sodiumtransporter = Natriumtransporter) durch die Darmwand gelangt.

 Zur Funktion des Säureanteils

Blattsalate sind bodennahes Feldgemüse, das ein relativ hohes Risiko trägt, mit pathogenen Keimen des Bodens (u.a. Listerien) und des organischen Düngers (Enterobakterien) belastet zu sein. Deshalb ist vor der Zubereitung eine gründliche Reinigung mit fließendem Wasser (abbrausen) geboten (auch wegen der Erdanhaftungen). Das allein reicht aber nicht, um Salate »keimfrei« zu machen. Dazu bedürfte es thermi-scher Verfahren. Weil frische Salate aber weder geschält noch thermisch gegart, ihre anhaftende Keim-fracht weder mechanisch entfernt oder durch hohe Temperaturen unschädlich gemacht werden, müssen diese anders beseitigt werden: mit Hilfe bakterizider Sekundäranteile (siehe: vom Rohstoff zur Speise). Dazu zählen u.a. Säure, Salz, Pfef-fer, Zwiebeln, Knoblauch, Kräuter etc.7

Auch wenn das obige Beispiel »nur« eine Rohkostzubereitung ist, so lässt sich daran das Grundprinzip der Rohstoffkombination erkennen: Die Einordnung eines Primärstoffs (welche Inhaltsstoffe sind dominant, welche defizitär – kann/soll er roh oder thermisch gegart verzehrt werden?) führt automatisch zu den not-wendigen Sekundäranteilen, wenn aus ihm eine gesundheitlich unbedenkliche, aromatisch attraktive Spei-se werden soll. Bewährte Rezepte beachten diese zentralen (ernährungsphysiologischen und pharmakolo-gischen) Zwecke und sind zugleich auch eine Anleitung zur Erreichung von Wohlgeschmack. Dieser sen-sorische Gesamteindruck ist eine Art erfühlte Komplementarität der Nahrungseigenschaften, ein Körper-signal für gute Nahrungsqualität.

 Zusatzinformationen

Spätestens dieser o.g. Zusammenhang macht den Zweck der Salat-Komponenten deutlich: wo viele pathogene Mikroorganismen »zu erwarten« sind, setzen wir jene Pflanzenstoffe ein, die sie im sekundä-ren Stoffwechsel u.a. gegen Fraßfeinde, Bakterien und Pilze bilden. Diese »Kampfstoffe« unterscheiden sich chemisch und werden je nach Klimagürtel und zu erwartenden Fraßfeinden (auch gegen Frost und UV-Strahlen) von den Pflanzen gebildetDas heißt: wir reduzieren die Keimbelastung unserer Spei-sen mit eben jenen Stoffen, die zum ureigensten »Waffenarsenal« der Pflanzen gehören. Säuren und scharfe Gewürze sind vor allem prophylaktische Komponenten, besonders wenn thermische (oder andere keimreduzierende) Verfahren nicht infrage kommen. Beizen, Essig und Weinmarinaden (mit Kräutern und Zwiebelgewächsen)scharfe Gewürze (z.B. Pfeffer, Chili, Cayenne), Senf, Meerrettich,Wasabi (sie enthal-ten den Bakterienkampfstoff Sinigrin) zählen zu den häufigsten »Entkeimungsstrategien« der Zuberei-tung.

Die Säuren und Gewürzanteile korrelieren mit der zu erwartenden Keimbelastung (roh oder thermisch gegart) – die auch klimatisch und hygienisch begründet ist. Zugleich haben diese Ergänzungen vielfäl-tige physiologische Effekte: sie regen u.a. den Appetit an (die sezernierte Speichelmenge »verdünnt« die pikanten = pikenden Anteile), fördern die Durchblutung auch der Kapillargefäße der Darmepithelzellen und aktiviert die Darmperistaltik (wodurch Reizstoffe schneller abgeführt werden). Weiterhin werden die Rezeptoren für Schmerzempfindungen (Trigeminus) gereizt, was eine Endorphinausschüttungen zur Folge hat und das Trinkbedürfnis anregt (besonders in tropischen Ländern, wo hohe Wasserverluste durch Schwitzen üblich sind).

Und schließlich senken scharfe Gewürze die Körpertemperatur, weil die Schmerzmelder (Nocizeptoren) zugleich auf Hitze reagieren (MUTH; POLLMER 2005 S.5). Scharf (durch Chili) wird vom Rezeptor auch als »heiß« wahrgenommen, wodurch eine starke Durchblutung und Schweißbildung gefördert wird – die Abgabe von Körperwärme wird verstärkt. Hingegen reagieren Isothiocyanate aus Senf und des Meerret-tich mit Kälterezeptoren, die zu einer Gegenmaßnahme des Organismus führen: er erhöht die Körpertem-peratur (MUTH; POLLMER 2005).

 

1 Tatsächlich sind Rezepturen nichts anderes als Algorithmen – methodische Abfolge von Schritten; HARARI2017, S. 117

2 Unter anderem wird von enteroendokrinenZellen (des Dünndarm) CCK (Cholezystokinin) ausgeschüttet, besonders bei freien Fettsäuren mit einer Mindestlänge von 12 Kohlenstoffatomen. CCK vermittelt im ZNS ein physiologisches Sättigungsgefühl; die Magenentleerung wird gehemmt; user.medunigraz.at/helmut.hinghofer-szalkay/Pruef. htm 2017

3 Erst die Ernährungswissenschaft hat diese Zusammenhänge aufgeklärt; bei der Einführung dieser Rohstoffkombinationen waren solche Nährwerteaspekte unbekannt. Leitend waren offenbar die Genusswerte, und die stehen, wie wir heute wissen, mit Ernährungs- und Gesundheitswerten in direktem Zusammenhang.

4 Beim Kontakt langkettiger Fettsäuren und mit Linolsäure (einer mehrfach ungesättigten Fettsäure) reagieren Geschmacksrezep-toren, die für Wahrnehmung von Fett spezialisiert sind, mit einer Aktivierung intrazellulärer Signalkaskaden, an dessen Ende u.a. die Freisetzung von Neuropeptiden (Dopamin) und Neurotransmitter (Beta-Endorhine – Faktoren für Hochgefühle) erfolgt. Ein Indiz, dass Fette bereits auf der Zunge erkannt und vom Belohnungssystem im Gehirn erfasst werden. BERGER T.2010, S. 28-30

5 https://die-gemeinnuetzige.de/files/herkunftkultivierungnutzpflanzen_m__nchau.pdf2017

6 Bei der Fettverbrennung, dem Abbau von Fettsäuren – der so genannten ß-Oxidation (sie heißt so, weil die Anlagerung von Sau-erstoff, die Oxidation, am β-C-Atom, dem C3-Atom der Fettsäure, stattfindet). Dabei entsteht das Molekül Acetyl-CoA, das nur bei ausreichendem Pyruvat (ein Zuckermetabolit) in den Citratzyklus eintreten kann.

Die Prise Zucker macht das Dressing nicht nur »weicher«, sondern liefert zugleich den Zucker für die Pyruvatbildung. Pyruvat-mangel erschwert bzw. verlangsamt die Energiegewinnung aus Fett. Wohl deshalb mögen wir gerne die Kombination aus Süßem und Fett (Torten, Speiseeis)

7 Nur wenige Bakterien vertragen Säure (wie z.B. Milchsäurebakterien). Salz und die Allylsenföle der Zwiebel sowie das Alkaloid Piperin des Pfeffers vertragen sie hingegen nicht – sie sterben ab.

20.12.2018, 13:59 von Günther Henzel | 369 Aufrufe

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